VENEZIANISCHE IMPRESSIONEN
   2008 / 51

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Es gibt nichts Neues über Venedig zu erzählen...
Eine Bilanz

verloren hat, von 120'000 auf 55'000? Wie geht sie damit um, dass diejenigen, die bleiben, zur Hauptsache der alten Generation angehören? Sie übersteht die vielen Fluten vom Meer zwar gut und hat einen pragmatischen Umgang damit entwickelt. Aber wie übersteht sie die Flut von 12, 20 oder gar 22 Millionen Touristen pro Jahr? Die Zahl scheint niemand so genau kennen zu wollen. Es wissen wohl alle, dass das auf die Dauer nicht so weiter wachsen kann. Die ganze Infrastruktur steht schon jetzt an einzelnen Tagen vor dem Kollaps. Venedig, ein Modell.

Die meisten von diesen Touristen bringen gar nichts: kein Geld, kein Prestige, kein Geschenk. Sie bleiben einen Tag, verpflegen sich noch aus dem mitgebrachten Proviant und kacken die Lagune voll, verstopfen die Vaporettos, die Kirchen, die Museen und haben keinen Schimmer von gar nichts. Nicht, dass man ihnen das zum Vorwurf machen kann. Sie kommen, weil sie von den cleveren Transportunternehmern geködert und hingekarrt werden. Weil immer mehr Kreuzfahrtschiffe und pausenlos

landende Flugzeuge ihre Gäste für einen Kurztrip in die Gassen entleeren. Sie kommen, weil wie überall, vor allem gefahren werden muss, dass die Busse, die Autos, Schiffe und Flugzeuge ausgelastet sind und die in sie getätigten Investitionen mit möglichst viel Gewinn zurück fliessen. Ja, man gönnt sich was und hat's ja gewiss auch verdient als Arbeiter oder Angestellter beim Bau von Bussen, Lastwagen, Geländewagen, Flugzeugen  und Schiffen. Es geht wie auf den Meeren: Fischen bis nichts mehr da ist. Die Zinsen für die Hightech-Kutter - auch sie bringen Arbeit - müssen schliesslich bezahlt sein. Après nous le déluge!

Welcher Widerspruch zu einer autofreien Stadt, die eigentlich die menschlichste aller Umgebungen bietet und in der sich nun die Menschenmassen auf den Füssen herumtrampen, nicht recht wissend, wo es was zu erleben gibt. Es gäbe die Ruhe, die Leichtigkeit, die Musse. Aber das stillt den Hunger nicht nach dem, was ihnen eine entfesselte Unternehmerschaft in bunten Katalogen vorgaukelt. Natürlich profitieren...

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Diesen Satz Henry James stellten wir an den Anfang unseres halbjährigen Venedigaufenthaltes. Und brachten trotzdem 50 Seiten voll mit Dingen und Ereignissen, die uns auffielen, die uns beschäftigten, amüsierten oder die wir aussergewöhnlich fanden. Wahrscheinlich gilt Henry James Satz mehr für die Kreise, in denen er verkehrte: den Adel und das Grossbürgertum. Und die allgegenwärtige Kunst? Ja, die ist immer wieder überraschend, grossartig und beeindruckend. Aber auch

bei ihr schleicht sich das schale Gefühl des Déjà-vu ein, weil sie uns gleichzeitig millionenfach vervielfältigt auf Reproduktionen, Postkarten und Badetüchern entgegentritt.

Bleibt der Alltag der Menschen in dieser Stadt, die hier und jetzt hier leben. Das ist - wie überall - spannend. Und in diesem Umfeld stellen sich auch die Fragen. Wie kommt eine Stadt damit zu Rande, dass sie innerhalb kürzerster Zeit die Hälfte ihrer Einwohner
schaft